»Hast du noch ein paar Sitzkissen, Eleonora«, fragte Alva, als er gerade dabei war, alles vorzubereiten. Die Kinder würden bald den Raum stürmen und bis dahin wollte er gerne fertig sein. »Aber natürlich. Schau mal im Nebenraum im Regal«, sagte sie. Die beiden gehörten seit kurzer Zeit dem Ältestenrat an, obwohl sie ziemlich junge Älteste sind. Alva ist gerade einmal 120 Jahre alt und Eleonora 129. Damit sind sie die mit Abstand Jüngsten im Rat. 

Heute hatte Alva vor, eine ganz besondere Geschichte zu erzählen. Es war die Geschichte seiner eigenen Vergangenheit. 

Bis die Kinder kamen, war noch etwas Zeit, und Alva und Eleonora bereiteten den Raum liebevoll vor. Jedes Kind erhielt ein flauschiges Sitzkissen, das in einem großen Halbkreis vor Alva aufgereiht war. Auch seine eigenen Enkelkinder würden gleich die kleine Aula betreten. Sie war offen gebaut, also halboffen zumindest. Sie verfügte über ein rund geformtes Dach und war seitlich offen. So hatte man nie wirklich das Gefühl, in einem Raum zu sein.

Die Menschen dieser Zeit leben mit der Natur im Einklang und verstehen, dass der Tanz zwischen Natur und Mensch nur ein Tanz unterschiedlicher Formen ist. Gleich sollten die Kinder kommen, und Eleonora fragte Alva: »Was wirst du heute mit ihnen machen?«.

Alva grinste verschmitzt und Eleonoara wusste innerlich bereits, was er vorhatte. Dass sie da nicht gleich darauf gekommen war: Der Halbkreis, die Sitzkissen, Alva auf dem Boden in der Mitte. Er würde heute eine seiner Geschichten erzählen. Die Kinder liebten es. Und Alva liebte es. Er ging darin voll auf. Sein ganzes Wesen wurde lebendig, wenn er Geschichten erzählen konnte. Und weiß Gott hatte Alva genügend Geschichten zu erzählen. 

Er führte das Leben eines Abenteurers, der jeden Winkel der Welt kannte. Seine Eltern, Menschen der alten Generation, waren mutige Pioniere einer neuen Zeit. Sie stellten sich gegen alle Konventionen der damaligen Welt, reisten und begannen, neue Zivilisationen zu errichten, die sie selbst gar nicht mehr miterlebten. Das erlaubte Alva, ein freies Leben zu führen und sich vom Leben treiben zu lassen. 

Es gab wohl keinen besseren Geschichtenerzähler als ihn. 

Gleich war es soweit und die ersten Wesen in einem kleinen Körper waren tatsächlich Alvas eigene Enkelkinder. Nebst ihrem Vater. Alvas Sohn Emoriel war ein groß gewachsener, gut aussehender Mann, der den ganzen Tag schrieb. Auch er war Geschichtenerzähler, wie sein Vater. Nur, dass Emoriel sie aufschrieb. Im Gegensatz zu Alva liebte er es, in Stille zu sitzen, zu schreiben und so sein Innerstes nach außen zu bringen. »Was für ein Langweiler du bist!«, hatte Alva eines Tages scherzhaft zu seinem Sohn gesagt. »Anstatt deine Geschichten lebendig zu erzählen, schreibst du sie nur in deine vielen Bücher!«. Er tat das mit einem Augenzwinkern, denn er war stolz auf seinen Sohn. Seine Werke gehörten zum Besten, was er je gelesen hatte. 

»Da sind ja meine zwei Lieblingsmenschen!«. »Opaaaa«, ertönte es wie auf Kommando aus zwei kleinen Mündern zur gleichen Zeit. Alva liebte seine Enkelkinder - beides gute Zuhörer – und freute sich, sie bei sich zu haben. Nach und nach füllte sich die kleine Aula. Die Kinder begrüßten sich, mancher fetzte wild herum, während andere sich bereits auf die Sitzkissen setzten und mit anderen Kindern quasselten. Nun war es so weit und Alva setzte sich zu den Kindern in den halboffenen Sitzkreis. 

Seine pure Präsenz sorgte dafür, dass alle Kinder zur Ruhe kamen und sich schließlich auf eins der Kissen setzten. Sie alle waren gespannt, was Alva, der Älteste, heute mit ihnen vorhatte. So mancher erinnerte sich noch an das letzte Treffen und die wunderbaren Geschichten, die er erzählte, und hoffte, dass es davon heute mehr gab. 

»Ihr Wunderwesen, es ist schön, bei euch zu sein und in eure Gegenwart eintauchen zu dürfen«, eröffnete Alva. »Wie ihr wisst, bin ich ein Ältester, und ältere Menschen können vor allem eins: schlau daherreden. Also habe ich mir gedacht - und ihr werdet mir gleich sagen, was ihr davon haltet - ich könnte euch eine meiner Geschichten erzählen«. 

Alva liebte Momente wie diese. Sie gaben ihm das Gefühl, lebendig zu sein. Gebraucht zu werden. Er liebte die Verbindung zu den Kindern, denn sie waren rein. Leicht. Aufmerksam. Von den Kindern kam ein kollektives »Au ja« und Alvas Herz sprang zwei Oktaven höher. Obwohl ohne Plan - den hatte Alva nie - wusste er, dass die Geschichte, die er heute erzählen würde, nicht nur eine gute Geschichte sein würde. Sie war Teil der Geschichte der Kinder, und Alva und die anderen Ältesten waren der Meinung, dass die Kinder so weit seien, um sie zu hören. Also überlegten sie verschiedene Arten - Alvas Geschichten, Eleonoras Künste, Janns Ausflüge in die Wildnis - wie sie den Kindern helfen konnten, sich zu erinnern. Denn Alva und die anderen Ältesten wussten, dass das alles war, was sie zu tun hatten. Denn das gesamte Wissen steckt in uns… 

»Also gut Kinder, dann wollen wir mal. Heute erzähle ich euch eine Geschichte aus einer anderen Zeit. Von unglaublichen Dingen, die ihr mir kaum glauben werdet. Ich erzähle euch von meinen Reisen, als ich so alt war wie ihr gerade. Was ich erlebt habe, wie die Welt war, als ich noch klein war. Und noch mehr: Ich erzähle euch, wie meine Eltern lebten«. Es war fast so, als ginge ein kleines Raunen durch die Aula. Die Kinder waren alle sehr gespannt und voller Vorfreude. Sie wussten, dass die Menschen früher ganz anders gelebt haben als jetzt, und mancher, der von seinen Eltern darüber noch nichts oder nicht viel hörte, erfuhr heute zum ersten Mal so richtig, wie es damals eigentlich war. 

Alva setzte an: »Stellt euch mal vor, ihr lebt in einer Welt, in der sich niemand erinnern kann. Alle meinen, sie sind getrennt voneinander. Es ist nicht wie heute, wo wir wissen, wir sind ein Teil des großen Ganzen - nein. Damals dachten die Menschen tatsächlich, sie müssten alles ganz alleine bewerkstelligen«. Als Alva das sagte, sah er in interessierte und verblüffte Gesichter zugleich. Er wusste, seine Worte zeigten vom ersten Moment an Wirkung. Die Kinder lauschten nicht nur mit ihren Ohren, sondern mit ihren Herzen.

»Meine Eltern zum Beispiel lebten lange Zeit in einem Haus aus Beton und Stahl in einer abgetrennten Behausung. Sie teilten das Haus mit anderen Familien, die sie nicht wirklich kannten. Die Familien redeten kaum miteinander, weil jeder damit beschäftigt war, seinen Lebensunterhalt zu verdienen…«, da wurde Alva von Lanus, einem achtjährigen Jungen, der nicht weit von ihm entfernt saß, unterbrochen: »Was ist ein Lebensunterhalt?«, wollte er wissen. »Danke für deinen Hinweis, Lanus. Selbstverständlich könnt ihr das gar nicht wissen. Ich will es euch erklären: Früher, als sich die Menschen noch nicht erinnern konnten, machte man ihnen glauben, dass sie die meiste Zeit ihres Lebens etwas nachgehen musste, das Arbeit hieß. Mit dieser Arbeit verdienten sie etwas, das Geld hieß. Und mit diesem Geld gingen sie dann in eine große Halle, in der verarbeitete und in Plastik abgefüllte Nahrungsmittel angeboten wurden - weiß jeder, was Plastik ist? Wir sprachen neulich darüber« - ein kollektives Nicken. »…und kauften diese Lebensmittel dann mit dem Geld, das sie über ihre Arbeit verdienten«. 

Alva ließ die Sätze wirken. Er wusste, was er den Kindern gerade erzählte, war so unglaublich, dass sie sicher einen Moment brauchten, um es zu verarbeiten.

Hätte er es nicht mit eigenen Augen gesehen damals, als er selbst ein Kind war, er würde es selbst nicht glauben können. Die Kinder staunten. Viele „Ah’s“ und „Oh’s“ waren zu hören. Elina, ein Mädchen von etwas weiter hinten, meldete sich. Sie war sehr schlau, hatte eine schnelle Auffassungsgabe und fragte nun das, was sich alle dachten: »Habe ich richtig verstanden, Alva, dass sie in Plastik abgefüllte Nahrung in diesen Hallen mit dem… Geld, das sie im Tausch für ihre heilige Lebensenergie erhielten, eintauschten?«. 

Alva musste schmunzeln. »Ja, Elina. Das siehst du richtig. Und du hast es schon gesagt: Stellt euch vor, die Menschen damals wussten nichts über ihre heilige Lebensenergie. Für sie waren das nur Geschichten von esoterischen Verrückten, dass man eine Lebensenergie hatte. Das alles Energie ist. Was für uns selbstverständlich ist, weil wir um die Prinzipien unseres Wesens wissen, war für die meisten damals nicht mehr als ein Märchen. Ihr müsst dazu wissen, dass die Menschen damals auch wenig Chance auf mehr Bewusstsein hatten…«

Alva ließ wieder eine Pause, denn er musste a) überlegen, wie viel er ihnen heute sagen wollte, und b) sollten die Kinder stets Zeit haben, alles zu verarbeiten, was er ihnen sagte. Die Kinder sahen ihn gespannt an, als ahnten sie, dass er gleich etwas Unglaubliches sagen würde. Und das tat er. »Der Grund, weswegen sie wenig Chancen auf mehr Bewusstsein hatten, war der, dass ihnen etwas eingepflanzt worden war, was sie glauben ließ, sie selbst zu sein - und doch war es nur eine kollektive Intelligenz, die sie steuerte und benutzte… und ehe Alva fortfahren konnte, fragte ihn Lunia, ein Mädchen nicht weit von ihm: »Wie kann man denn etwas eingepflanzt bekommen und es nicht merken?«.

Lunia hatte recht: Alva musste erklären, wie es dazu überhaupt kommen konnte. »Danke, Lunia, eine wirklich bedeutsame Frage. Stell dir vor, du hättest irgendwann einem Spiel zugestimmt, das genau das macht: Dich vergessen lässt, wer du bist. Und dazu müsste dir diese Intelligenz eingepflanzt werden. Sie überschreibt dein Erinnerungsvermögen - du erinnerst dich nicht mehr an dich selbst und spielst also ein Spiel mit dir selbst. Diese Intelligenz zapfte die heilige Lebensenergie der Menschen ab, ohne, dass die Menschen der damaligen Zeit es bemerkten. Und so gingen sie jeden Tag ihrer Arbeit nach. Es gab ein Zeitsystem, dass genau definiert war. Es war mit dem unsrigen nicht zu vergleichen. Nutzen wir Zeit nur, um uns zu verabreden und etwa wie heute alle zur selben Zeit am selben Ort zu sein, war Zeit damals ein Programm, was den Menschen vormachte, es gäbe bestimmte Tage, an denen sie zu arbeiten hatten, und solche, an denen sie frei hatten. Alles war auf 25, nein, 22? Halt, es waren genau 24 Stunden. Ja, so war es. Alles war auf 24 Stunden ausgerichtet. 12 Stunden Tag und 12 Stunden Nacht. Dazu gab es Wochentage: Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag und Sonntag. Sieben an der Zahl. Montags bis Freitags mussten die Menschen arbeiten, samstags und sonntags hatten die meisten frei«. 

Alva blickte nun in vollkommen entsetzte Gesichter. Ein solches Konzept hatten sie noch nie gehört.

Tage? 24 Stunden? Arbeitszwang? »Alva«, meldete sich ein Mädchen von weiter hinten zu Wort. Sie war sehr an Geschichte interessiert und er wusste, dass sie womöglich eine der Wenigen war, die von den Dingen, die er heute teilen würde, wussten. Er mochte ihre Eltern sehr und war sich sicher, dass sie mit ihren beiden Mädchen bereits über diese Dinge gesprochen haben. 

»Ich hab mich schon einmal mit dem Konzept von Sklaven auseinandergesetzt. Würdest du sagen, die Menschen damals waren Sklaven?«, wollte sie wissen. Alva überlegte einige Zeit. Denn das Wort Sklave wollte wohlwissend eingesetzt werden. Er wusste um seine Bedeutung, auch wenn es in seinem Leben nie eine direkte Rolle gespielt hatte. Schließlich antwortete er: »Weißt du, ich weiß nicht, ob man dies als Sklaverei bezeichnen kann. Auf der einen Seite: Ja. Denn die Menschen damals waren durch ihr Vergessen und die kollektive Intelligenz keineswegs frei. Nein, weil sie dennoch den freien Willen besaßen und jederzeit anders hätten wählen können. Und genau das führt uns auch zum springenden Punkt: Durch den freien Willen wäre es den Menschen jederzeit möglich gewesen, anders zu wählen. Und weil die Intelligenz, die die Menschen damals steuerte, das wusste, tat sie alles, um sie zu manipulieren. Man kann den freien Willen niemals auslöschen. Aber man konnte damals Menschen so manipulieren, dass sie vergaßen, dass sie ihn besitzen. Und genau das geschah mit den Menschen damals: Sie vergaßen, wer sie sind, wie die Dinge wirklich liegen, und verloren sich - tagein, tagaus - im selben Spiel«. 

Alva nahm einen Schluck Tee und schaute in die Runde. Nie hatte er sich mehr verliebt in die neugierigen Blicke der Wesen vor ihm. Alva wusste, sie besitzen zwar einen kleinen Körper, aber einen großen Geist, der alles erfassen kann, was er sagte. Und mit jedem Wort, das er sprach, regte er nur ihre eigene Erinnerung - ihr inneres Wissen – an. Das war es, was er bezwecken wollte: Alva wusste, jeder gute Geschichtenerzähler besaß die Kunst, etwas in den Menschen, die zuhörten, auszulösen. Und zwar die Erinnerung an sich selbst. An das eigene Wissen. 

Nun fuhr er fort: »Fassen wir also noch einmal zusammen: Die Menschen damals glaubten, sie müssten arbeiten gehen, um Geld zu erhalten. Mit diesem Geld bezahlten sie dann, was sie zum Leben brauchten. Lebensmittel zum Beispiel. Oder die Miete & Kredite für ihre Wohnungen und Häuser. Bestimmt fragt ihr euch, was das nun wieder ist: Miete & Kredite, habe ich recht?«.

Kollektives Nicken. »Als Miete bezeichnete man, wenn man in jemandes anderem Haus oder Wohnung lebte und ihm dafür jeden Monat - das waren mehr oder weniger 30 Tage am Stück - Geld gab. Weil es ja ihm gehörte…«. Da wurde Alva von einem Kind aus den hinteren Reihen gefragt: »Aber wie kann jemand etwas besitzen, was die Erde gebaut hat, Alva?«. Er musste schmunzeln. Er liebte die Wachheit dieser Kinder. Sie waren es, die bereit waren, dieses Spiel anders zu spielen. In Bewusstheit. »Danke für deine Frage, eine, wie ich finde, sehr berechtigte. Ihr müsst wissen, dass Besitz damals eine große - wenn nicht die größte – Bedeutung, hatte. Die Menschen damals lebten nicht wie wir heute, indem sie alles miteinander erschufen, was alle zum Leben brauchen. Warum also war es möglich, dass jemand etwas besaß, was die Erde zur Verfügung stellte? Ganz einfach: Weil sie daran glaubten.  Durch ihre Trennung von ihrer Identität vergaßen sie, dass jedem alles auf der Erde gehörte. Also glaubten sie, sie müssten alles durch ein Tauschmittel, dem Geld, regeln. Wenn eine Familie aus unserer Gemeinschaft ein Haus möchte, mit schönem Grundstück, direkt am Fluss oder in der Nähe des Ozeans, wie machen wir das, Kinder?«. 

Die Frage war rhetorisch. »Ganz einfach: Wir kommen alle zusammen und erschaffen es aus der Kraft unserer Gedanken. Aber das wisst ihr ja. Nur die Menschen damals, die wussten das nicht. Also haben sie Geld eingesetzt, das einen bestimmten Wert hatte und auf so kleine Papierscheine gedruckt war. Es war bunt und jedes Land - auch so ein Konzept, auf das ich gleich noch zu sprechen komme - hatte eine eigene… wie hieß das noch gleich? Währung. Genau. Eine eigene Währung, die die Länder und Staaten untereinander tauschten. Ziemlich kompliziert, oder?«. 

Alva machte eine Pause. Blickte sich um. Sah ungläubige Blicke. Mancher feixte leise mit seinem Sitznachbarn darüber, wie das alles möglich sein konnte. Es war so weit weg von der Welt, in der die Kinder lebten, dass sie sich das alles gar nicht vorstellen konnten. Jetzt meldete sich Yuna zu Wort, ein etwa 9-jähriges Mädchen: »Alva, du hast gesagt, du kommst gleich auf diese… diese…«, »Länder?«, half Alva - »ja, genau. Auf diese Länder zurück. Was ist das?«. 

»Nun Kinder, wir wissen heute, dass es keine Länder gibt, sondern nur Frequenzen & Energie. Das wussten die Menschen damals aber nicht. Sie glaubten, um eine andere Erfahrung zu machen, als die, die sie jeden Tag machten, müssten sie reisen. Anders als wir heute stiegen sie dazu physisch in ein Flugzeug oder ein anderes Transportmittel und fuhren tausende Kilometer weit. Zumindest dachten sie das. In Wahrheit verschob sich ihre Wahrnehmung und sie nahmen einen anderen Ort wahr. Ein anderer Code wurde aktiviert und plötzlich waren sie nicht mehr in… sagen wir Deutschland, sondern in einem Land in Mittelamerika, z.B. Costa Rica. Deutschland und Costa Rica waren tatsächlich physisch ganz anders. Was wir heute als unterschiedliche Schwingungsdichte kennen, war damals eine andere physische Welt…»Aber Alva, wie war es möglich, dass die Menschen damals nicht verstanden, dass die Welt aus unterschiedlichen Frequenzen besteht? Unsere Gefühle sind doch unser Messinstrument - damit bestimmen wir doch, was wir wahrnehmen und in welche Frequenz wir uns einklinken…«. Die Frage kam von Janus, der gleich neben ihm saß. 

»Janus, da sprichst du einen ganz wichtigen Aspekt an: Der springende Punkt ist auch hier wieder die Zeit: Die Zeit, die man von Deutschland nach Costa Rica reiste, wurde genutzt, um den Geist der Menschen vorzubereiten und die aktuellen Codes herunterzuladen. So dachten sie, sie landen auf einem Flughafen, aber in Wahrheit war dies nur ein innerer Film, der auf ihre innere Leinwand projiziert wurde. Auch wenn es unglaublich scheint, aber die Menschen waren so sehr im Vergessen, dass sie die Welt getrennt von sich wahrnahmen, Janus. Aber das war noch nicht alles, was Alva zu erzählen hatte… Denn er wusste, die Wahrheit dieser alten Welt ging tief. 

»Zu allem Überfluss stritten die Länder und Regierungen untereinander. Jedes Land besaß eine eigene Regierung. Eine Regierung bestand damals aus einem Regierungsorgan, z.B. einem Parlament, in dem gewählte Menschen den ganzen Tag so taten, als tun sie wichtige Dinge«. Alva musste schmunzeln. Er kannte verschiedene Regierungsgebäude von innen, zum Beispiel den Deutschen Bundestag als Besucher. Als kleiner Junge nahm er wahr, wie wichtig sich die Menschen dort fühlten. Ihre Macht war spürbar und doch verstand bereits der kleine Alva, dass diese Macht am Erodieren war. Je mehr Menschen begannen, sich zu erinnern, desto weniger Einfluss konnten die Regierungen und die, die wirklich die Geschicke eines Landes leiteten, ausüben.

»Jede dieser Regierungen besaß eine Führungsriege, Minister, Kanzler, Könige, die unter anderem mit anderen Regierungen und Ländern Geschäfte machten. Nicht alles war schlecht an diesem System: Die Menschen tauschten Rohstoffe und Nahrung - nur, dass sie die vergaßen, die am Rande dieses Systems lebten. Das System war darauf aufgebaut, immer mehr Geld und Wohlstand zu erzeugen. Was, unter Anwendung von ein klein wenig gesundem Menschenverstand, nicht funktionieren konnte, oder?«. Alva blickte in die Runde und erntete wieder kollektives Nicken. »Falls ihr euch jemals gefragt habt, weswegen wir dem Planeten so helfen mussten, weswegen die Erde so krank war - dort findet ihr die Antwort. Das ist auch einer der Gründe, weswegen die anderen Ältesten und ich wollen, dass ihr über die Geschichte der Menschen Bescheid wisst: Es soll nie wieder so weit kommen wie damals. Wie wir heute leben, ist im absoluten Einklang mit der Natur: unserer eigenen und der des Planeten«. 

Alva machte eine Teepause. Immer wieder standen Kinder auf, gingen zur Toilette oder setzten sich an kleine Tische und begannen zu zeichnen.

Ein Junge fertigte Skizzen von Alvas Geschichte an und würde sie bald allen zur Verfügung stellen. So könnten alle ein Stück physischer Erinnerung vom heutigen Nachmittag mitnehmen. »Alva?«, erklang eine zaghafte Stimme von einem kleinen Menschen mit großem Herzen. Es war Luisa. Sie fragte Alva: »War diese Welt damals böse?«. Und damit brachte sie auf den Punkt, welche Energie Alva im Raum wahrnahm, je mehr er von den alten Zeiten der Erde sprach. 

Er antwortete: »Weißt du, das ist eine gute und berechtigte Frage. Was wäre, wenn sie weder gut noch böse gewesen wäre? Was, wenn sie einfach so war, wie sie war? Und was, wenn wir uns trotzdem daran erfreuen können, wie wir heute leben? In Erinnerung an uns selbst als ein gemeinsames Kollektiv, in dem die Individualität jedes Einzelnen ihr größtes Geschenk ist. Eine Welt ohne Krieg, Hass und Manipulation. Stattdessen, wo immer ich hinsehe, neue Initiativen, die es für uns alle besser machen. Das ist die Essenz von Bewusstheit: Uns immer mehr an uns, am Leben zu erfreuen und es dadurch zu mehren. Schau wie wir heute leben: In wunderbaren Gemeinschaften, in denen jeder seinen Raum nehmen kann, und doch ist niemand alleine. Wir helfen uns gegenseitig, errichten Bauwerke, erschaffen die Nahrung für jedes Lebewesen. Wir respektieren jedes Lebewesen - auch das war längst nicht immer so. Erinnert euch an unser letztes Treffen: Ihr wolltet mir nicht glauben, dass Menschen Tiere aßen und die Milch von anderen Säugetieren tranken. Es war barbarisch. Lasst uns stolz sein auf das, was wir erreicht haben, und doch wissen, die alte Welt war, wie sie war. Nicht gut. Nicht böse. Nicht schlecht. Nicht falsch. Sie war einfach«. 

Alva beendete seinen Satz und wusste, wann immer er in den Vortragsmodus glitt, war es womöglich an der Zeit, für heute Schluss zu machen. Aber eine Geschichte wollte er den Kindern unbedingt noch mit auf den Weg geben. Es war die Geschichte der Trennung der Welt, die lange anhalten sollte, als letztes großes Spiel der Getrenntheit. 120 Jahre nach dieser Trennung saß Alva nun hier. Mit diesen Kindern. In der Aula. Es war ein warmer Nachmittag, herrlicher Sonnenschein. Man konnte das Meer hören. Grillen zirpen, um die Aula herum Dschungel. Es war Alvas Paradies auf Erden. Und er war dankbar, denn wer, wenn nicht er, wusste, dass das alles andere als selbstverständlich war… 


»Wisst ihr Kinder, ich möchte euch heute noch mitnehmen auf eine Reise ins Jahr 2027. Es war das Jahr meiner Geburt. Meine Eltern lebten bis vor wenigen Jahren dasselbe Lebenskonzept wie alle anderen. Mein Vater war der Erste, der aus dem Jahrtausende alten Tiefschlaf erwachte. Und er war damit in einer Welt des Vergessens ziemlich alleine auf weiter Flur. Es gab nicht viele Menschen, die wie er fühlten, dass mit der Welt etwas nicht stimmte. Er musste mutig sein und beschritt einen Pfad, ohne den wir unsere Wege des Lebens heute nicht leben könnten. Er und eine wachsende Zahl an sich selbst bewussten Menschen nahmen immer mehr wahr, dass es zu einer Trennung – zur letzten großen Trennung – kommen musste. Es war unausweichlich. Zu sehr arbeitete die große Intelligenz auf diese Spaltung hin. Es war ein wenig, wie als würde sich das Meer in zwei spalten: Es gab Familien wie uns, die ausgestiegen waren und sich auf dem Pfad zur Erinnerung bewegten. Wir trafen andere Familien wie uns, in denen die Kinder keine Schule besuchten, sondern das Leben ihr Lehrmeister war. Es war das erste Mal, dass Kinder, wie ihr es heute tut, selbstständig lernen durften. Meine Eltern sorgten dafür, dass in mich keine Konzepte eingepflanzt werden konnten, die mir auf dem Weg in die Erinnerung im Weg hätten stehen können. Ich hatte viele Freunde und wir entdeckten gemeinsam die Welt und unsere Existenz. 

Diese Familien errichten langsam aber sicher den Grundstein für Gemeinschaften, in denen wir heute zusammenleben: Sie fanden den Grundsatz: Die Individualität jedes Einzelnen ist das größte Geschenk, das wir in der Gemeinschaft haben. Und sie fanden heraus, dass weder ein abgetrenntes Leben wie z.B. in fremden Nachbarschaften, noch andauerndes Zusammenleben ohne Rückzug funktionierten. Das Konzept der „Supporting Neighbourhoods“ wurde ins Leben gerufen. Und wenn ihr euch umseht, seht ihr noch heute, dass das die Eckpfeiler auch dieser Gemeinschaft hier sind: Jeder hat sein Eigenes, z.B. ein Haus, etwas Grund - und zwar so, wie er möchte. Und drumherum wurden Gemeinschaftseinrichtungen, Aulen, Gärten, Schulen für die, die es wollten, errichtet. So konnte jeder so leben, wie er mochte, und die Gemeinschaft half sich gegenseitig aus. 

Die Menschen erkannten, wie sinnlos Geld ist, wenn man alles selbst erschaffen kann. Was natürlich nur dadurch möglich war, dass diese Menschen sich an ihr wahres Wesen erinnerten und ihrem inneren Kompass folgten«. 

Alva war nun richtig in Fahrt. Er liebte es, dass seine Eltern und die mutigen Pioniere einer neuen Zeit die Grundlage schafften für alles, was noch kommen sollte. Und er wusste nur zu gut, wie hart es für seine Eltern sein musste, diesen Weg zu gehen. Dafür war er ihnen auf ewig dankbar. Und gerade als er diesem Gedanken nachhing, fragte jemand…»Alva, was ist mit den anderen Menschen? Du sprachst von einer letzten großen Trennung?«, wollte ein Junge unweit von ihm wissen. »Genau, danke, dass du mich daran erinnerst. Tatsächlich gab es Menschen, die aufgrund des Eingriffs der falschen Intelligenz so sehr am Alten festhielten, dass sie für eine lange Zeit ein ziemlich tristes Leben führen mussten. 

Die Intelligenz sorgte dafür, dass ihre Freiheit immer mehr eingeschränkt wurde. Technologie wurde nicht, wie wir sie nutzen, zu einem Verbündeten, sie kontrollierte die Menschen immer mehr. Es gab bald kaum noch die Möglichkeit, sich selbst auszudrücken. Für Menschen, die diesen Pfad wählten, drehte sich alles nur noch um Arbeit. Ihnen wurde erzählt, dass es besser sei, wenn sie in Städten lebten. Städte erhielten ein neues Konzept, eines, das auf Automobile größtenteils verzichtete. Ihnen wurde erzählt, dass es gut sei, wenn alles, was sie zum Leben brauchten - ihr Arbeitsplatz, die Hallen, in denen sie ihre Lebensmittel kauften, Kindergärten und Schulen und Freizeiteinrichtungen - in unmittelbarer Nähe befände. Man brauche kein Auto, was besser für die Umwelt sei, und könne so sein Leben bewusster leben. In Wahrheit diente es der Intelligenz nur dazu, die Menschen noch mehr zu kontrollieren und in Schach zu halten. Reisen wurde unglaublich teuer - ihr erinnert euch ans Reisen von damals: andere Länder. Menschen liebten es zu reisen, doch keiner konnte es sich mehr leisten. Das Geldsystem brach beinahe in sich zusammen - alles wurde immer teurer. 

Bald war es den Menschen nicht mehr erlaubt, ihre Freunde und Familien, die außerhalb ihrer eigenen Stadt lebten, zu besuchen.

Ein sogenanntes Token-System wurde eingeführt und jeder durfte zum Beispiel nur noch 2 mal im Jahr seine Stadtzone verlassen. Geld wurde digitalisiert, sodass alles für die große Intelligenz zu jeder Zeit nachvollziehbar war. 

Und dann - kam das Metaverse, Kinder. Doch diese Geschichte, fürchte ich, werde ich euch ein anderes Mal erzählen müssen. Heute reicht uns die Zeit nicht mehr. Lasst euch nur so viel sagen: Die Menschen waren irgendwann so frustriert von alldem, dass viele sich in ein digitales Bewusstsein einklinkten. In dem versprochen wurde, dass das Leben wieder etwas angenehmer werden würde. Anstatt also im echten Leben zu sein, flohen sie ins Metaverse und begannen, einen künstlichen Avatar, also eine Figur, die sie durch das Metaverse steuern konnten, ins Leben zu rufen. Die Menschen verließen bald kaum noch ihr Haus. Künstliche Intelligenz - die große Schwester der kontrollierenden Intelligenz, die den Verstand der Menschen kontrollierte - sorgte dafür, dass es kaum noch Arbeit in der echten Welt gab. Die fanden Menschen dann im Metaverse, wo sie ihren Avataren Kleidung von Luxusmarken, teure Automobile und Häuser kauften und dafür von morgens bis abends virtuelle Arbeit verrichteten. Aus Sicht der Intelligenz war es das perfekte Spiel: Nicht wenige Menschen folgten ihrem Angebot und luden irgendwann, als die Technologie so weit war, ihr gesamtes Bewusstsein ins Metaverse. Von ihnen blieb in der echten, physischen Welt, in der wir leben, nichts mehr übrig. Für diese Menschen wird es umso schwieriger, sich zu erinnern, denn mit jeder Schicht, die sich ein Mensch von sich selbst entfernt, muss er ein Stückchen weiterlaufen, um sich zu finden«. 

Alva ließ den Blick schweifen. Er war selbst berührt von dem, was er gerade sagte. Den Menschen, die sich nicht erinnerten, wurde so lange glauben gemacht, ihr Leben in der echten Welt mache keinen Sinn, bis sie bereit waren, es zu verlassen und ihr Bewusstsein in eine KI-Welt hochzuladen. Natürlich wusste Alva, dass es auch Menschen gab, die es erkannten und sich wieder in die physische Welt begaben. Doch es gab auch viele, die dies nicht schafften. Unter anderem Alvas jüngerer Bruder. 

»Alva?, Alva?, Alva?…« Die Fragen häuften sich nun. Die Kinder hatten noch sehr viele Fragen, die Alva geduldig beantwortete. Viele der Kinder waren inzwischen aufgestanden, begannen herumzulaufen oder zeichneten ihre Bilder von den Welten, die Alva ihnen heute offenbarte, zu Ende. Es war ein wunderbarer Nachmittag und die Kinder verstanden, das spürte Alva, wie bedeutsam es war, am Leben zu sein. Echte Luft zu atmen. Frei zu sein. Sich zu erinnern und etwas Positives in die Welt zu tragen. Egal, wen er anblickte, Alva blickte in sein eigenes Gesicht, wenn er eines der Kinder ansah. Ihm wurde warm ums Herz, denn er wusste: Sie alle waren eins und doch so grundverschieden. 

FIN


Alva erzählt, was wir alle spüren. Er erklärt, was uns längst bewusst ist. Holt an die Oberfläche, über was niemand sprechen möchte. Ich danke Alva für seine Klarheit und Wahrheit.

Um die Geschichte der Woche zu erhalten und auf die Bibliothek mit den vorherigen Geschichten zuzugreifen, ist ein Nutzekonto erforderlich:

Das Hörbuch-Verison der Geschichte gibt es exklusiv für alle Whisperer Konto Eigentümer. Hier kann man eine Mitgliedschaft abschließen: