Wie konnte es soweit kommen? Zuwa stand auf der Brücke. Bereit zu springen. Dieses Leben zu beenden, das er einfach nicht verstand. Egal, was er tat, er kam einfach nicht weiter. War es das wirklich? War er wirklich bereit? Schluss zu machen? Was hatte er schon zu verlieren? Eine Tonne Frust, die das Leben ihm jeden Tag auflud?


Die Luft war kalt gewesen an diesem Morgen. Zuwa hatte in der Nacht kein Auge zugemacht. Wie schon in den Wochen zuvor fand er kaum Schlaf. Er saß verzweifelt vor seinem Macbook, auf der Suche nach Antworten. Lösungen. IRGENDWAS. Doch statt Antworten fand er nur noch mehr Frustration. Verzweifelt brach er in Tränen aus. Alles erschien ihm sinnlos. Er legte sich in sein Bett, in dieser Berliner Altbauwohnung. Kauerte sich zusammen wie ein Säugling in der Gebärmutter seiner Mutter. Weinte, schrie. Dann: Stille. Klarheit. Er wusste, er hatte genug gesehen in dieser Welt. Es war nicht das erste Mal, dass er ans Aufgeben dachte.

Alles, was er unternahm, endete in Frustration. Er war kein gewöhnlicher Junge. Schon immer speziell. Feinühliger. Er verstand Menschen besser als sie sich selbst. Konnte Räume lesen und Dinge wahrnehmen, die anderen verborgen blieben. Doch das hatte seinen Preis: Sein Leben lang war er ein Außenseiter. Und egal, was er versuchte, er passte nie hinein. In diese Welt, die er, egal wie sehr er sich bemühte, einfach nicht verstand. In der Schule sagte man ihm, er habe eine Konzentrationsschwäche. Dabei war er hochintelligent, seine Wahrnehmung messerscharf. Nur lernte er nicht linear und durch stupide Wiederholung. Sein Geist war anders organisiert. Das Schulsystem war nicht darauf ausgelegt, ihn zu fördern, sondern ihn zu normieren.

Er rebellierte in seiner Jugend gegen das System, wurde Gangster, und die Leute wechselten die Straßenseite, wenn sie ihn und seine Bande sahen. Besonders abends. Seine Mutter, alleinerziehend, tat alles, um die beiden über Wasser zu halten. Nicht viel Geld, dafür umso mehr Andersartigkeit. Zuwa riss sich zusammen, machte seinen Abschluss. Erlernte einen kaufmännischen Beruf. Studierte später sogar neben seiner Arbeit. Er war der erste Akademiker seiner Familie. Verdiente gutes Geld, war erfolgreich in dem, was er tat. Doch er wusste immer, dass er anders war. Spürte, dass das, was er erreichte, nicht alles sein konnte. Im Schnelldurchlauf erfüllte er die Anforderungen des westlichen Lebens: hatte einen guten Job, verdiente viel Geld, heiratete seine Jugendliebe und wohnte in einem Reihenhaus zur Miete. Fehlen würde nur noch das erste Kind, und das Bilderbuchleben wäre perfekt gewesen.

Doch das war es nicht. Weil es das niemals ist. Niemand, der so fühlt wie Zuwa, könnte damit jemals glücklich werden.

Dabei gab ihm das Leben schon immer Zeichen. Einmal hörte er einen Song im Radio, während er von einem Geschäftstermin zum nächsten fuhr. Er hatte ihn noch nie gehört. Und er schwor, dass er nicht verrückt war, aber der Text (auf Englisch) wiederholte immer wieder: „You are not from here! You’re meant to be someone else.“

Er sah Zeichen in Filmen, Werbebotschaften. Als Kind fühlte er sich wie Jesus, ohne je etwas mit der Kirche am Hut gehabt zu haben. Er misstraute ihr, wie vielem im System. Seine Skepsis, die Zeichen ... Zuwa wusste immer, dass etwas nicht stimmte.

Und wurde dabei immer unglücklicher. Und fetter. Jeden Monat wuchs sein Wohlstandsbauch, seine Ehe zerbrach Stück für Stück. Zwischenzeitlich hatte er sich selbstständig gemacht, in der Hoffnung, dem System zu entfliehen. Was nur bedingt gelang. Auch jetzt musste er seine Rechnungen und Steuern zahlen. Nur, dass er keinen Chef mehr hatte. Kein narzisstisches Nazi-Arschloch als Überbleibsel aus dem zweiten Weltkrieg. Und das als Italiener.

Unter seiner Decke wusste Zuwa: er hatte alles versucht, um diesem Leben irgendeinen Sinn zu geben. Doch weder Geld noch Status, weder Ehe noch Erfolg gaben ihm Halt. Es fühlte sich immer unwahr an. Als würde er etwas übersehen. Als fehle etwas. Seit er ein kleiner Junge war, trug er ein Wissen in sich, auf das er keinen Zugriff hatte.

Die Brücke. Kälte. Regen. Früher Morgen. Kein Mensch weit und breit. Sein Auto parkte ein paar Hundert Meter entfernt. Die Brücke war eine alte Zugbrücke, die die Bahn nicht mehr benutzte. Er liebte es, in dem Waldstück spazieren zu gehen, in dem er sich nun das Leben nehmen wollte. Er lehnte an der Brüstung, kalt und nass. Der Regen prasselte auf das Metall. Zuwa beobachtete die Tropfen. Er war bereit. Zu seiner Verwunderung weinte er nicht.

Als er auf die Brüstung stieg, hielt er sich an einem Pfosten zu seiner Rechten fest. Er stand wackelig dort und blickte in den Abgrund seiner Seele. Bereit, diesem sinnlosen Leben, das nach außen betrachtet vollkommen schien, Goodbye zu sagen.


Er sprang. Zu seiner Verwunderung genoss er das Fallen. Es war, als spürte er sich zum ersten Mal wirklich. Er genoss die Geschwindigkeit. Die Freiheit. Für diese wenigen Sekunden, bis sein Leben enden würde, war er frei. Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Warum konnte sich das Leben nicht immer so anfühlen? So lebendig. Das war sein letzter Gedanke.

...

Stille.

»Wo bin ich hier?«

Eine Leere machte sich breit. Er wusste nicht, was geschah, aber er wusste, dass er noch existierte. War das der Tod?

Er sah nichts. Und doch hätte er schwören können, dass seine Augen offen waren. Er nahm sich selbst wahr, ohne sich beweisen zu können, dass es so war. Nur Schwärze.

Zuwa hatte erwartet, dass sich Sterben anders anfühlen würde. Doch er fühlte sich keinen Deut anders als im Fall. Bewusst. Wach. Und dieses euphorische Gefühl hielt noch immer an. Dieses Lebendigsein. Jetzt, wo er scheinbar tot war. Der letzte Scherz eines Lebens, das er nie verstand?

Er erwachte aus einem tiefen Schlaf. Musste so tief geträumt haben, dass er für einen Moment alles vergaß: Wer er war. Wo er war. Warum er war.

Dann erinnerte er sich. Selbstverständlich erinnerte er sich.

Es war, als hätte er ewig geschlafen. Mit einem Mal war alles wieder da: Sein Leben als Martin. Berlin. Die Frustration. Erinnerungen formten sich wie ein Mosaik in seinem Geist.

Zuwa erinnerte sich daran, dass er ein Experiment unternommen hatte: sich selbst die Erinnerung zu nehmen. Um herauszufinden, ob er IN seiner Schöpfung erwachen konnte.

Er hatte sich selbst Prüfungen eingebaut: Die Lehrer, die ihm Konzentrationsschwäche unterstellten. Die Jobs, in denen es plötzlich nicht mehr weiterging. Die Beziehungen, die zerbrachen.

Hätte Martin Erfolg gehabt, er wäre niemals in die Nähe des Erinnerns gekommen. Genauso mit seinen Beziehungen: Wären sie reibungslos gewesen, hätte er nie gelernt, auf seine eigene Wahrnehmung zu vertrauen.

Zuwa hatte das alles orchestriert. Alle seine Spieler um seine Hauptfigur Martin herum erschaffen.

Er hatte das Spiel diesmal sehr weit getrieben. Fast zu weit.

Doch nun wusste er: Martin war noch nicht fertig. Er wollte es schaffen. Er wollte sich erinnern. Und dafür sollte er eine letzte Chance bekommen.

Zuwa kontaktierte sich selbst, sanft, auf der Frequenz der Zeichen: Märchen, Werbetafeln, Vögel, die ein Lied sangen. Mehr Eingreifen war verboten. Denn Martin musste selbst entscheiden.

...

Martin erwachte, triefend nass. Im Flussbett. Unter der Bahnbrücke, von der er gerade gesprungen war. Und er lebte.

Er hob sein Gesicht langsam aus dem Wasser. Es war so kalt wie noch nie in seinem Leben. Aber er lebte.

War er sogar unfähig, sich selbst umzubringen? Wie konnte das sein?

Er stand auf, zitterte am ganzen Körper. Kein Blut. Kein Bruch. Nur Leben.

Die praktischen Gegebenheiten des Lebens holten ihn schneller ein, als er denken konnte. Wie sollte er zurück zur Brücke gelangen? Zu seinem Auto?

Ein Gedanke tauchte auf: Vielleicht gab es doch noch etwas zu entdecken.


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Themen in diesem Text:
Hoffnungslosigkeit überwinden, Tiefe Lebenskrisen verstehen, Aufwachen aus der Matrix, Berufung finden nach Scheitern, Spirituelle Transformation, Warum Erfolg nicht glücklich macht, Depression und spirituelles Erwachen, Zeichen erkennen im Alltag, Spirituelles Erwachen, Über Depression hinauswachsen, Leben jenseits von Erfolg, Erwachen zur Berufung, Erwachen aus der Matrix, Zeichen überall erkennen